Warum wir mit unseren Kindern langzeitreisen sollten
Das Thema Langzeitreisen mit Kindern ist derzeit wieder in aller Munde: Radiosender klopfen an unsere Tür und möchten Interviews machen. Familienreiseblogger, fast alle auch Langzeitreise erfahren, trafen sich bei der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Und die Blogszene insgesamt wächst und wächst. Auch die Nachfrage bei REISS AUS family nimmt stetig zu. Alle wollen mit ihren Kindern reisen.
Wirklich alle? Nein, der Eindruck täuscht gewaltig, vor allem wenn man sich hauptsächlich im reiseaffinen Umfeld bewegt. Denn außerhalb dieser bunten Community sieht die Welt ganz anders aus. Die Süddeutsche Zeitung katapultierte sich Mitte März mit einem Meinungsartikel ins Familienreise-Aus: Dreiste Besserverdiener verprassten auf staatliche Kosten das Elterngeld auf Reisen, statt mit ihrem Nachwuchs brav zuhause zu bleiben. Und wer eine Langzeitreise mit Kindern plant, stößt auch bald schon auf einige Ressentiments aus dem Umfeld.
Diese können auch die mutigsten Eltern verunsichern. Sie rütteln an einem eigentlich ganz intuitiven Wunsch und lassen uns nach tieferen Gründen für diesen Wunsch suchen. Nicht nur, um ihn vor der Außenwelt zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Den zweifelnden Großeltern oder Freunden etwas entgegenzusetzen. Sondern auch gegenüber uns selbst. Denn – zugegeben –: Bevor wir die erste längere Reise mit Kindern planen, haben sich auch die routiniertesten Backpacker schon mal gefragt, ob und wie das nun alles mit Kindern funktionieren soll. Und warum man überhaupt mit Kindern reisen sollte.
Warum Langzeitreisen mit Kindern
Dafür gibt es unzählige Gründe, die schon hinreichend im Web diskutiert wurden. Da geht es darum, dass Reisen bildet, weil es den Horizont erweitert. Dass es Vorurteile abbauen hilft und die Angst vor Fremdem und Unbekanntem nimmt. Dass Kinder, die viel reisen, sich einfacher auf neue Situationen einstellen können, neugieriger sind und sich besser konzentrieren können. Eine britische Kinderpsychologin will gar herausgefunden haben, dass die Gehirnentwicklung von Kindern durch Reisen positiv beeinflusst wird. Das alles allein würde schon reichen, finde ich, um mit Kindern möglichst viel durch die Welt zu düsen. Aber mir geht es um etwas anderes.
Quality Time zu Hause – Denkste
Die vielbeschworene, die sagenumwobene: Quality Time. Damit rechtfertige ich mich gern, wenn jemand fragt, wie wir denn Kinder und zwei Vollzeitjobs unter einen Hut bekommen. Super, antworte ich dann. Dank Kita und flexibler Arbeitszeitgestaltung alles kein Problem. Und die übrigbleibende Zeit mit der Familie ist dann ja auch echte „Quality Time“. Wir verbringen die Zeit intensiv zusammen, wenn wir dann mal alle zusammen sind. Haushalt bestmöglich outgesourct und Sport oder andere individuelle Hobbys derzeit auf Eis gelegt, machen wir Ausflüge zusammen, treffen Freunde oder basteln das Faschingskostüm.
So weit, so gut. Strenggenommen sind es aber doch eine Menge Stunden pro Woche, die wir nicht gemeinsam verbringen. Weil wir arbeiten. Schlafen. Arzt- oder Behördentermine wahrnehmen müssen. Und manchmal sind wir zusammen, aber doch nicht richtig: Weil wir telefonieren, weil wir eine What’s App Nachricht schicken oder Emails checken, Zeitung lesen oder sonst wie abgelenkt sind. Weil das Leben eben so ist.
Endlich unterwegs, endlich Zeit
Auf Reisen dagegen sind wir 24/7 zusammen. Klar, wir schlafen auch, allerdings aus Kostengründen und weil‘s so gemütlich ist meist alle zusammen in einem Bett, mindestens jedoch im selben Raum. Und ja, es kommt vor, dass wir mal getrennt Aktivitäten unternehmen. Aber selten. Denn was wir am gemeinsamen Reisen so toll finden, ist eben dass wir GEMEINSAM unterwegs sind. Als Familie.
Auch schätzen wir sehr, dass wir endlich ganz viel Zeit miteinander verbringen können, ohne dass einer zur Arbeit muss, ohne dass ständig das Telefon klingelt, ohne Termine. Ok, nicht ganz ohne Haushalt, denn eingekauft und gekocht werden muss auch auf Reisen. Aber selbst das machen wir dann meist alle zusammen. Denn wir haben ja Zeit. VIEL Zeit. Nichts muss schnell gehen, weil das Zeitfenster kein langes Bummeln durch den Supermarkt erlaubt. Oder weil für’s Kochen gerade einmal eine halbe Stunde zur Verfügung steht und Pfannkuchen machen mit einem Vierjährigen nun mal nicht schnell über die Bühne geht.
Und es gibt unterwegs viel weniger zeitfressende Ablenkung durch digitale Medien oder die Pflege sozialer Kontakte. Dafür gibt es umso mehr Aktivitäten, bei denen wir uns als Familie neu entdecken und ausprobieren können. Und wir füllen unseren Erinnerungsschatz mit gemeinsamen Erlebnissen, an die wir uns noch lange erinnern und die auch für die ganz Kleinen, die sich vielleicht nicht direkt daran erinnern können, zur Lebensgeschichte dazugehören werden. Dass ihre Eltern sich die Zeit genommen haben, über einen langen Zeitraum die ganze Zeit mit ihnen zusammen zu sein.
Alte Rollenmuster aufbrechen
Für Elternzeitreisen gilt das obige noch auf eine ganz besondere Art und Weise mehr: Viele Väter bringen sich bislang für die zwei Pflichtmonate in die Elternzeit ein. Dafür gibt es unterschiedliche, häufig finanzielle Gründe. Den Rest der Zeit verbringen die Mütter mit den Säuglingen und Kleinkindern dann meist tagsüber allein zu Hause. Automatisch lastet ein Großteil des Alltags auf ihren Schultern. Und auch wenn wir das nicht gern zugeben: Wir Mütter geben die Aufgaben, die wir dann vermeintlich besser beherrschen, auch ungern ab. Denn den Vätern fehlt häufig einfach die Routine mit dem Baby. Manche versäumen aufgrund eines hohen Arbeitspensums sogar den kompletten Alltag mit ihren Kindern, an dem sie Montag bis Freitag gar nicht teilnehmen. Und das ist noch viel häufiger so als wir denken, auch in Deutschland.
Auf einer Langzeitreise besteht die Möglichkeit, aus diesen bestehenden Rollen endlich auszubrechen. Mehr Verständnis für denjenigen aufzubauen, der den Tag mit dem Kind verbringt. Das Kind richtig kennenzulernen, an seinem Leben teilzuhaben, sich als Eltern neu zu definieren. Je länger die Reise dauert, desto mehr lassen wir auch unseren gewohnten Alltag zugunsten eines Reisealltags hinter uns und gewinnen Abstand zu den eingespielten Rollen. Das ist nicht immer ganz einfach, denn die Beziehungsmuster sind häufig sehr festgefahren. Aber es bringt uns näher zu uns selbst und lässt uns als Familie zusammenwachsen.
Jetzt oder nie
Nutzt die Zeit, die euch zur Verfügung steht mit euren Liebsten, so oft ihr könnt, um dem Alltag zu entfliehen. Reisen mit Kindern, gerade Langzeitreisen, ist ein JA-Sagen zu richtig viel gemeinsamer Zeit mit der Familie. Zu langen Spaziergängen, Einkaufsbummeln, Mal-Orgien oder Spielsessions. Zu Abenteuern und ganz neuen Erfahrungen in fremden Ländern und Kulturen. Zum Leben ohne ständige Erreichbarkeit und ohne soziale Verpflichtungen, einen Großteil der alltäglichen Haushaltsarbeit und ohne Kinderbetreuung durch Dritte. Das allein schon reicht mir als Begründung völlig aus, warum ich gern mit meiner Familie so lang und so oft wie möglich reise. Denn der Zeitraum, in dem das möglich ist, ist nicht lang, vielleicht 15-16 Jahre? Dann starten die Kids ihre eigenen Reisen und wir sind früher oder später raus.
Du sprichst mir aus dem Herzen. Wir kommen gerade von einer 5 monatigen Reise mit dem Wohnmobil durch Zentralamerika zurück. Die Eindrücke, die Begegnung mit den Menschen,die Natur und die Tiere, all das prägt unsere Kinder, 7 und 11 Jahre, ein Leben lang. Viele wollten uns von dieser Reise abhalten, mit den merkwürdigsten Argumenten. Wir sind froh und dankbar, dass wir uns von unserem Ziel nicht haben abbringen lassen. 2019 soll es wieder auf die nächste lange Reise gehen, die Welt ist so wunderbarzu entdecken.
Hallo Birgit. Danke, das freut mich zu hören und bestätigt mich natürlich auch in meiner Ansicht. Ja, man hört wirklich die seltsamsten Argumente gegen das lange Reisen mit Kindern, ich höre inzwischen einfach weg ;-)
Hey ihr Lieben,
finde es echt toll dass ihr mit euren Kindern due Welt entdeckt und bin auch fast ein wenig neidisch weil das bei uns wohl nie klappen wird. Werden aber nächstes Jahr zumindest mal 4 Wochen nach Thailand und dann noch 3 – 4 Wochen USA machen.
Aber wie macht ihr das bei euren Langzeitreisen mit der Schule? Wird ja in ein paar Jahren auch Thema für uns sein.
Liebe Grüße
Hallo Silvia,
wir haben derzeit noch keine Kinder im schulpflichtigen Alter. Daher haben wir bislang keine Probleme damit. Aber sehr viele Familien reisen auch mit Schulkindern längere Zeit. Es gibt inzwischen einiges an Tipps hierzu, wie das mit der Schulbefreiung funktionieren kann. Schau mal in unsere Buchempfehlungen unter Ratgeber. Da gibt es ein Ebook und auch das Buch „Reisebudget-Planung für Familien“ von Jenny Menzel enthält ein Kapitel darüber.
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